Ein Balanceakt zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge
Demenzielle Erkrankungen stellen Betroffenen selbst, ihre Angehörigen und das Pflegepersonal vor grosse Herausforderungen. Eine der schwierigsten Situationen tritt ein, wenn Menschen mit Demenz Hygienemassnahmen ablehnen und in eine Form der Selbstvernachlässigung geraten. Doch haben sie das Recht, Körperpflege abzulehnen? Wie sieht die Rechtslage in der Schweiz aus, und was bedeutet das für Angehörige und Pflegepersonal? Diesen Fragen wollen wir nachgehen, einerseits aus rechtlicher Sicht und andererseits basierend auf unserer eigenen Erfahrung.
Was versteht man unter dem «Recht auf Verwahrlosung»?
Der Begriff mag provokativ klingen, doch im Kern geht es um das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen. Jede Person hat das Recht, über ihren eigenen Körper und ihre eigenen Lebensumstände zu entscheiden – auch wenn diese Entscheidungen von anderen als unvernünftig oder gar schädlich angesehen werden.
Die rechtliche Situation in der Schweiz bezüglich Selbstbestimmung und Hygiene
In der Schweiz ist das Selbstbestimmungsrecht ein zentrales Prinzip. Gemäss Artikel 10 der Bundesverfassung hat jede Person Anspruch auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Dies bedeutet, dass auch Demenzbetroffene grundsätzlich das Recht haben, Hygienemassnahmen abzulehnen.
Urteilsfähigkeit als Schlüssel
Entscheidend ist jedoch die Frage der Urteilsfähigkeit. Gemäss schweizerischem Zivilgesetzbuch (ZGB) ist eine Person urteilsfähig, wenn sie die Fähigkeit besitzt, vernunftgemäss zu handeln. Bei Demenzbetroffenen kann die Urteilsfähigkeit eingeschränkt sein. Ist eine Person nicht mehr urteilsfähig, können gesetzliche Vertreter Entscheidungen in ihrem Namen treffen.
Patientenverfügungen und Vorsorgeaufträge
Diese Dokumente können Klarheit über die Wünsche der Betroffenen schaffen, wenn sie noch urteilsfähig sind. Sie dienen als Leitfaden für Angehörige und Pflegepersonal und können rechtliche Unsicherheiten minimieren.
Selbstbestimmung vs. Fürsorgepflicht
Angehörige und Pflegepersonal stehen oft im Spannungsfeld zwischen dem Respekt vor der Selbstbestimmung und der Fürsorgepflicht gegenüber Demenzbetroffenen. Einerseits möchten sie den Willen der Betroffenen achten, andererseits fühlen sie sich verantwortlich für dessen Wohlbefinden.

Pflichten und Verantwortlichkeiten von Angehörigen und Pflegepersonal
Wenn Demenzbetroffene die Körperpflege verweigern, sollten Angehörige und Pflegepersonal zunächst versuchen, die Gründe dafür zu verstehen. Möglicherweise liegen Missverständnisse, Ängste oder sensorische Überempfindlichkeiten vor. Ein einfühlsamer Ansatz kann helfen, Widerstände abzubauen.
Selbstgefährdung und gesetzliche Möglichkeiten
Sollte die Verwahrlosung zu einer ernsthaften Selbstgefährdung führen, sieht das Erwachsenenschutzrecht Massnahmen vor. Dazu gehören Beistandschaften oder, in extremen Fällen, eine fürsorgerische Unterbringung gemäss ZGB Art. 426 ff. Diese Massnahmen dienen dem Schutz der Betroffenen, greifen jedoch stark in ihre persönliche Freiheit ein und sollten daher sorgfältig abgewogen werden.
Auswirkungen der Verwahrlosung auf Gesundheit und Wohlbefinden
Eine Vernachlässigung der Körperpflege kann zu gesundheitlichen Problemen führen, etwa Hauterkrankungen oder Infektionen. Zudem kann sie soziale Isolation verstärken und die Lebensqualität des Betroffenen weiter beeinträchtigen.
Ethisches und rechtliches Handeln
Angehörige und Pflegepersonal sollten stets bemüht sein, ethisch korrekt zu handeln. Das bedeutet, den Willen und die Würde von Demenzbetroffenen zu respektieren und gleichzeitig ihre Gesundheit nicht zu gefährden. Im Zweifel kann die Konsultation von Fachstellen oder rechtliche Beratung sinnvoll sein.
Unterstützung durch Haus Herbschtzytlos oder Sozialdienste
Wir vom Haus Herbschtzytlos bieten neben unserem Betreuungsangebot auch Kurse und Beratungen für Angehörige oder Personen, die in der Pflege tätig sind. Weiter können lokale Sozialdienste um Beratung und Hilfe angefragt werden.
Kommunikation und Verständnis als Schlüssel
Effektive Kommunikationstechniken können helfen, Widerstände zu überwinden. Dazu gehören:
- Kommunikation ohne Worte: Verständigung ohne Sprachgebrauch
- Validation: Gefühle und Äusserungen der Betroffenen ernst nehmen und bestätigen.
- Biografiearbeit: An frühere positive Erfahrungen anknüpfen.
- Rituale: Vertraute Abläufe schaffen Sicherheit.
Best Practices im Pflegebereich
- Geduld und Empathie: Zeit nehmen und die Betroffenen nicht unter Druck setzen.
- Anpassung der Umgebung: Eine angenehme Atmosphäre kann die Bereitschaft zur Körperpflege erhöhen.
- Professionelle Schulung: Pflegepersonal sollte regelmässig Fortbildungen besuchen, um aktuelle Methoden kennenzulernen.
Fazit zum «Recht auf Verwahrlosung» bei Demenz
Der Umgang mit Hygieneverweigerung bei Demenzbetroffenen erfordert Sensibilität, Verständnis und Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen. Es gilt, einen Mittelweg zu finden zwischen dem Respekt vor der Selbstbestimmung und der Verantwortung für das Wohl des Betroffenen. Angehörige und Pflegepersonal sind nicht allein – Unterstützung und Beratung sind verfügbar und können bei Bedarf genutzt werden.